Jacques Josephs Büste

von W. Briedigkeit und H. Behrbohm

Veröffentlicht in HNO aktuell 13: 319-320 (2005)

Im Jahr 2004 wurde im besonderen Maße Jacques Josephs gedacht, des Begründers der modernen Rhinochirurgie, der vor 100 Jahren in Berlin die erste Septorhinoplastik mit funktioneller und ästhetischer Zielstellung über einen intranasalen Zugang durchgeführt hatte.

Ein weiterer Umstand lenkte die Aufmerksamkeit der Fachwelt auf diesen bedeutenden Wegbereiter: Das im II. Weltkrieg durch Fliegerbomben schwer getroffene und dadurch verloren geglaubte Grab Jacques Josephs wurde 2003 gefunden und 2004 – 70 Jahre nach seinem Tod – wiederhergestellt.

In diesem Jubiläumsjahr beschäftigten sich Fachpresse und Tagungen wiederholt mit Leben und Werk Josephs. Dafür lieferte die von dem US-amerikanischen Kollegen und Bewunderer Josephs Paul Natvig verfaßte Biographie „Jacques Joseph – Surgical Sculptor“ eine wesentliche Grundlage.

1970 von Don Turano angefertigter Nachguß einer alten Büste Jacques Josephs

Bronzebüste: „Stark, würdevoll, ernst und gebieterisch“

Auf ein Detail dieser Lebensbeschreibung möchten wir hier das Interesse lenken: auf eine Bronzebüste des chirurgischen Meisters. Sie wird von Paul Natvig erwähnt, als er die Einrichtung des neuen Hauses beschreibt, in das Familie Joseph 1925 einzog. Nach Natvigs Ansicht ist die Büste in der Absicht geschaffen worden, das Aussehen des namhaften Hausherrn zu verewigen – stark, würdevoll, ernst und gebieterisch, an das Bildnis eines römischen Imperators erinnernd – ein edles Kunstwerk, dem allerdings die Signatur des Schöpfers fehlte. Wir erfahren durch Natvig auch nichts über den Auftraggeber sowie über den genauen Ort der Aufstellung der Büste in Josephs Haus oder anderswo. Ebenfalls fehlen Hinweise darauf, wo die Skulptur verblieb, nachdem die Familie Joseph das Haus aufgegeben hatte.

Nach dem Tode Josephs 1934 und der Emigration seiner Witwe 1938 wohnte noch Josephs Vertraute, Nichte und Schwägerin Nelly Cohn in der Wilmersdorfer Villa. Über Frau Cohn berichtet Paul Natvig, daß diese 1939 zunächst nach Shanghai aus wanderte und das Original-Gipsmodell der Büste – wahrscheinlich im Jahr 1928 gefertigt – mitnahm. Auch die Bronzebüste habe sie aus dem Haus geschafft. Wohin, blieb leider unerwähnt.

Suche nach der Büste blieb erfolglos

Nelly Cohn starb 1967 wahrscheinlich in den USA, die letztlich das Emigrationsland der meisten Verwandten Jacques Josephs wurden. Frau Cohn hatte in ihrer neuen Heimat das Gipsmodell der Joseph-Büste an das Ehepaar Lutzner weitergegeben. Frau Lutzner war eine Tochter Hans Cohnheims, eines Neffen Frau Josephs, der sich nach der Auswanderung in die USA John Coleman nannte. Das Gipsmodell befand sich also nach Nelly Cohns Tod weiterhin im Besitz der Familie Joseph.

Über den Verbleib der Bronzebüste kann zur Zeit nur spekuliert werden. Vielleicht brachte Nelly Cohn die Skulptur vor ihrer Auswanderung zu nichtjüdischen Freunden zur sicheren Aufbewahrung. Offensichtlich war der Bronzekopf, im Gegensatz zu dem leichteren und dadurch unauffälligeren Gipsmodell, nicht in ihrem Emigrationsgepäck. In Natvigs Buch wird nicht berichtet, daß sich Frau Cohn nach dem Krieg wieder um die Büste gekümmert hätte, was nahe liegend gewesen wäre. Wußte sie vielleicht, daß die Büste nicht mehr existierte, daß diese vielleicht durch Fliegerbomben oder im Kampf um Berlin verlorengegangen oder für die deutsche Rüstung eingeschmolzen worden war? Offensichtlich tauchte die Skulptur weder im Berlin der Nachkriegszeit noch in den USA jemals wieder auf.

Paul Natvigs Recherchen zum Leben Jacques Josephs betrafen natürlich auch dessen Büste. Er hatte Verwandte, Schüler, Patienten und andere mit Joseph oder dessen Familie in Verbindung stehende Personen aufgespürt und befragt. Speziell zum Verbleib der Büste wandte er sich an Rechtsanwalt Helmut Erlanger, der nach 1945 in Berlin für Josephs Witwe tätig war, und in den USA an den schon genannten Neffen von Frau Joseph, Hans Cohnheim alias John Coleman.

Die Suche nach dem vollendeten bronzenen Kunstwerk blieb erfolglos; über Herrn Coleman kam Natvig jedoch zum Ehepaar Lutzner, in dessen Händen sich das Gipsmodell befand.

Nachguß 1970 von Don Turano angefertigt

Im Januar 1970 wurde zwischen Lutzners und Natvig der Nachguß zweier Joseph-Büsten nach dem aus Berlin geretteten Gipsmodell vereinbart – je ein Exemplar für Familie Dr. Marvin A. Lutzner und Prof. Dr. Paul Natvig.

Auf John Colemans Rat hin setzte sich Natvig in dieser Sache mit Dr. Raymond Stites in Washington D. C. in Verbindung, der vor Ort den Bildhauer und Bronzegießer Don Turano kannte, der für diesen Auftrag in Frage käme. Der Fotograf Julius Hahn, ebenfalls in Washington D. C., wurde gebeten, das Gipsmodell zunächst im Lichtbild festzuhalten. Hahn – offensichtlich ein Kunstkenner – äußerte die Vermutung, daß die Büste ein Werk des Berliner Bildhauers Ackermann sei. Natvig bat Herrn Hahn mindestens zweimal um Informationen über Professor Ackermann, deren Eingang jedoch nicht dokumentiert ist. Don Turano übernahm den Auftrag. Nach Versicherung mit 10 000 USDollar erfolgte im März 1970 der Transfer des Gipsmodells von Familie Lutzner, Garret Park, Madison, zu Don Turano, Washington D. C., und wieder zurück.

Nachdem die Auftraggeber aus fünf Metallproben einen Farbton ausgewählt und ihr Einverständnis mit dem Entwurf eines Marmorsockels für das geplante Kunstwerk gegeben hatte, wurden die zwei bestellten Büsten im Atelier Don Turanos gegossen.

Natvigs Joseph-Biografie enthält ein Foto, welches das Exemplar der von Don Turano gefertigten Bronzebüste zeigt, das sich zu Lebzeiten des Autors in dessen Sammlung von Erinnerungsstücken an Joseph befand. Sie steht auf einem wahrscheinlich schwarzen zweistufigen Marmorsockel, der ein Messingschild mit folgender Aufschrift trägt:

 

JACQUES JOSEPH

September 6, 1865 – February 12, 1934

Prof. Dr. Joseph

(Faksimile der Unterschrift des Dargestellten)

FATHER OF MODERN RHINOPLASTY

Die neue Büste, im Jahr 2005 von
Dr. Christian Bahr geschaffen

Neue Joseph-Büste von Christian Bahr

Im Juni 2005 lud Dr. Christian Bahr, plastischer Chirurg und Bildhauer, einige an Leben und Werk Jacques Josephs interessierte Kollegen in sein Atelier in Berlin-Pankow ein. Nach einer Diskussion über Leben, Werk und Persönlichkeit Jacques Josephs enthüllte Bahr eine neu geschaffene Büste des großen Rhinochirurgen. Zweifellos ist es dem Künstler gelungen, den einerseits geradlinigen und energischen, „chirurgischen“ Charakter und andererseits die Sensibilität Jacques Josephs in die Gesichtszüge einzubringen. So ist der Betrachter fasziniert von der Ausstrahlung dieser Büste, die uns auf diese Weise den Meister ganz nahebringt.

 

Literatur bei den Verfassern.

Korrespondenzadressen:
Prof. Dr. med. Walter Briedigkeit
Nentwigstraße 34b
12621 Berlin

Prof. Dr. med. Hans Behrbohm
Parkklinik Weißensee,
Abt. für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde
und Plastische Operationen
Schönstraße 80
13086 Berlin